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Die perfekte Aufnahme

Vergleicht man heutige Fotografien auf ihre Ästhetik mit damaligen Bildern, fallen einem markante Unterschiede auf: Die Fotografie bewegt sich weg von ihrem Ursprung und legt ihren Fokus nun auf die reine Schönheit des Bildes, weniger auf das, was abgebildet ist oder gezeigt werden will.

Viele führen diesen Wandel auf die neuere Erfolgsgeschichte sozialer und digitaler Fotoplattformen zurück. Sie ermöglichen nahezu jedem einen (halb)professionellen Umgang mit selbstgemachten Bildern: Filter, Bildbearbeitung und Verbreitung sind nun nicht mehr den Berufsfotografen vorbehalten.

Mit dem folgenden Vergleich der Urlaubsbilder zweier Familien, möchte ich euch zeigen, wie sich die Ästhetik von Aufnahmen gewandelt hat.

Später diskutiere ich  mit euch, ob an der These, dass es eine neue Ästhetik” in digitalen Medien gibt, etwas dran sein könnte.

Beispielfoto 1: Familienurlaub in den 70ern

Familienurlaub am See. (Quelle: chroniknet.com)

Es sind die 70er. Und es ist Sommer. Mutter, Vater und Kind fahren zu einem gemeinsamen Urlaub an einen großen See. Oma und Opa sind auch dabei.  Alle tragen sommerliche Kleidung, denn es ist sehr warm. Das gute Wetter hellt die Mienen auf, es herrscht Urlaubsstimmung. Am See angekommen wird es Zeit, das alles in einem schönen Urlaubsbild festzuhalten. Ein paar Boote bieten ein schönes Motiv. Die Familie stellt sich in einer Reihe auf, Opa zückt die Kamera. Lächeln!

So könnte es zu diesem Bild gekommen sein. Was auffällt: Die Familie steht zwar im Mittelpunkt, es wird jedoch wert darauf gelegt, wo die Familie ist und, dass der See hinter den Personen gut zu sehen ist. Alle schauen geradewegs in die Kamera, und das möglichst freundlich. Es soll ein nettes Foto werden. Jeder steht und ist vollständig abgebildet. Alle in einer Reihe, alles ordentlich. Gegenstände wie die Handtaschen werden vor der Aufnahme nicht abgelegt. Die Stile und die Farben der Kleidung sind wild durcheinander gewürfelt.

Zwar auch irgendwie eine Inszenierung, aber doch eine sehr minimalistische. Wenig Aufwand für ein schönes Foto. Keine Nachbearbeitung, keine Filter (der Vintagelook ist original 😉 ). Was bleibt, ist der Eindruck eines spontanen Schnappschusses, der sagen will: „Schaut mal, wo wir sind – ist es nicht schön hier?“ Von durcharrangierter Ästhetik keine Spur.

Oder wie seht ihr das? Was dachte sich der Fotograf wohl bei der Aufnahme?

Beispielfoto 2: Familienurlaub heute

Familienurlaub am Strand. (Quelle: lenimoretti.com)

Ganz anders heute: Die Fotografin und Bloggerin Leni Moretti nutzt die Strandkulisse um auch im Urlaub ihrer Leidenschaft nachzugehen. Aus einem Familienurlaub wird schnell ein Fotoshooting. Wie es dazu kam, beschreibt sie in ihrem Blog:

Mitte April fuhr ich mit meiner Mama und Oma zu unserem alljährlichen Drei-Generationen-Urlaub an die Ostsee. Vor zwei Jahren waren wir in Binz (Rügen), letztes Jahr in Heringsdorf (Usedom) und dieses Jahr in Trassenheide (Usedom). Sich ein paar Tage Meeresduft um die Nase wehen zu lassen, ist so erholsam! Ich freue mich jedes Jahr auf diesen Urlaub. Mindestens genau so sehr wie auf Weihnachten.

Dieses Mal habe ich die schöne Strandkulisse für ein Familienshooting genutzt. Ja, ich weiß, eigentlich sollte Urlaub auch Urlaub sein. Aber dieses Licht! Diese Dünen! Diese Weite! Ich wünschte, ich hätte das Meer immer direkt vor der Tür. Gibt es einen schöneren Ort für Familienfotos?

Wie es im Zitat schon heißt: die Kulisse ist perfekt für ein Familienfoto – und ist deswegen auch extra ausgewählt worden. Aber sie steht nicht im Mittelpunkt, sondern die Familie. Mutter und Vater gehen auf dem Sand in die Hocke, um auf Augenhöhe mit dem Kind zu sein. Das Kind steht vorne, die Eltern hocken hinten. Alle schauen verträumt auf das Meer hinaus, weg von der Kameralinse. Ein Unschärfefilter hebt die Familie von Strand und Wasser ab. Auf ihr liegt der Fokus, die Position ist angepasst an den goldenen Schnitt. Die Kleidung überwiegend blau wie das Meer und als Kontrast zum weißen Strand.

Das Bild ist ein Arrangement, es ist eine Inszenierung, es ist die heutige Ästhetik. Der Eindruck eines spontanen Urlaubsbildes entsteht nicht. Dafür der eines tollen Bildes für das Wohnzimmer, am besten eingerahmt.

Welchen Eindruck hattet ihr vom Foto? Hat es noch eine wirkliche Persönlichkeit in sich oder wirkt es zu gestellt?

Eine neue Medienästhetik?

Diese Möglichkeit, Bilder nach eigenem Wunsch zu gestalten, ist heutzutage nicht mehr professionellen Fotografen vorbehalten. Soziale Plattformen für Fotos mit großen Filterangeboten und anderen Bearbeitungsmöglichkeiten geben jedem die Chance, eine ähnliche Ästhetik zu erreichen. Es braucht dazu auch keine tiefergehenden Kenntnisse. Handykameras und Fotoapps nehmen einem die ganze Arbeit ab und lassen das Bilder machen fast schon zu leicht werden.

Wie leicht, beschreibt Sabrina in ihrem Beitrag sehr schön und anschaulich. Ihr ergeht es in Zeiten von Digitalkameras, Fotoapps und sozialen Medien sehr ähnlich, und sicher vielen anderen auch, einschließlich mir:

Das „Wie“ ist in den Vordergrund gerückt – es geht um Aufmerksamkeit statt um Erinnerung, und um inszenierte Schönheit statt um den Moment.

Früher sah das Ganze noch anders aus. Zu Zeiten analoger Kameras brachte eine Aufnahme noch einen sehr hohen Aufwand mit sich, den nicht jeder auf sich nehmen wollte. Teure Filmrollen mit vielleicht 36 Bildern nötigten einen, sparsam mit seiner Kamera umzugehen. Da ein Display fehlte, wusste man nie, ob das Bild etwas geworden ist. Verwackelte Aufnahmen bemerkte man erst nach der auch teuren Entwicklung des Films, und wanderten dann meist in den Müll. Viel Arbeit und Geld für die Katz.

ABER gerade deshalb hatten und haben solche Bilder noch einen besonderen Wert für uns bzw. für mich:

Sie waren teuer, sowohl die Entwicklung als auch die Filmrollen.

Sie sind garantiert unverfälscht.

Sie tragen eine kostbare Erinnerung mit sich.

Sie sind (meist) fein säuberlich in ein Fotoalbum geklebt und für eine Ewigkeit gedacht.

Sie werden zu verschiedenen (Familien-)Anlässen wieder ausgegraben und jeder erfreut sich daran.

Sie sind einfach etwas sehr Persönliches.

Welche Bedeutung haben analoge Bilder für euch?

 

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